Das Antlitz

Das Antlitz: Die äußere Erscheinung des Anderen beschreibt Lévinas als eine plastische, stumme Form, die durch den Anderen durchstoßen wird, so dass sein Antlitz sichtbar wird. Eben durch dieses Erscheinen, nicht durch Worte, spricht das Antlitz. Das Antlitz ist ganz klar vom Gesicht als solchem zu unterscheiden. Wenn Lévinas vom Antlitz spricht, so heißt das nicht etwa, dass das Ich darin den wahren Menschen, den wahren Anderen erkennen kann. Im Gegenteil verhindert das Antlitz, dass ich den Anderen dahinter erkennen und begreifen kann.
Durch die Erscheinung des Antlitzes enthüllt sich auch die Abstraktheit des Anderen, die Lévinas als „Nacktheit“ bezeichnet. Diese verbindet er insofern mit dem Antlitz, als die Haut des Gesichts diejenige ist, die immer zur Schau gestellt ist und dadurch ohne jeglichen Schutz ist. In dieser Not fleht das Antlitz das Ich an und steht stellvertretend für die Not aller Menschen. Das Antlitz des Anderen bezeugt somit einen ethischen Anspruch, der zu unbedingter Verantwortung, ein zentrales Konzept bei Lévinas, für ihn und sein Leben verpflichtet.

Lévinas, Emmanuel: „Das Antlitz“. In: Ders.: Ethik und Unendliches. Gespräche mit Philippe Nemo. Wien: Passagen 1996 [1982], S. 63-70

Lévinas, Emmanuel: „Die Verantwortung für den Anderen“. In: Ders.: Ethik und Unendliches. Gespräche mit Philippe Nemo. Wien: Passagen 1996 [1982], S. 71-77



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